Wertvoll weiterentwickeln
Das damals neue Hochhaus der Siedlung Wespiwiese. In der wirtschaftlichen Blüte der Nachkriegszeit reagierte man mit dieser dichten Bebauungsform auf den akuten Wohnungsmangel. Entsprechend dem Zeitgeist prägen schematische, einfache Formen und klare Strukturen die Erscheinung.
In der Geschichte der Gemeinde Uzwil der letzten 100 Jahre zieht sich ein Thema wie ein roter Faden durch: Die Wohnungsnot. Auf der einen Seite prosperierende Industrien, die Arbeit und Verdienst versprechen, die wachsen. Auf der anderen Seite keine Wohnungen. Und auch keine Mobilität, wie wir sie heute als selbstverständlich leben. Diese Kombination führte zu einem überhitzten Wohnungsmarkt.
Wie Wohnungsnot begegnen?
Gemeinde und Arbeitgebende befassten sich seit dem ersten Weltkrieg immer wieder mit der Frage: Wie die Wohnungsnot lindern? Wie genügend Wohnraum zur Verfügung stellen? Und schlussendlich: Wie dafür sorgen, dass er günstig ist? In diesem Kontext steht auch die Siedlung Wespiwiese. Sie ist das Ergebnis der Erkenntnis, dass nur gemeinsam gelingt, diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Siedlung galt denn auch bereits damals beim Erstbezug als Mustersiedlung. «Die von Architekt Fidolin Schmid, Niederuzwil, geplante Gesamtüberbauung ist gestalterisch und soziologisch beispielhaft», ist zu lesen.
Durchbruch mit der Stiftung
Jahrelang versuchte die Gemeinde, mit aktiver Bodenpolitik, mit Wohneigentumsförderung der Wohnungsnot zu begegnen. Ähnliches versuchten die Industrien. Dann erfolgte ein Schritt, der die Wohnungsnot wirkungsvoll eindämmte. Die «Stiftung für den Bau preisgünstiger Wohnungen» wurde gegründet. Als Mitglieder gehörten ihr in seltener Einigkeit die drei damals aktiven politischen Parteien an, dazu die Bühler AG, die Benninger AG, die Pensionskasse der Bühler AG sowie die Gemeinde. «Dank vorbildlicher Zusammenarbeit», wie nachzulesen ist, konnte bereits einige Monate nach der Gründung mit der ersten Bauetappe der Wespiwiese begonnen werden. In drei Etappen entstand die Siedlung. Die erste Etappe war im Herbst 1960 bezugsbereit, zwei Jahre später startete die zweite Etappe, in der nebst Wohnraum auch die Tiefgarage entstand. «Dank dieser Unterniveaugarage bleit dem ganzen Wohnrevier der Benzingeruch, Motorenlärm und auch die Unfallgefahr für die über 100 dort wohnenden Kinder erspart. Dafür entstanden über der Garage grosszügige Spiel- und Grünanlagen. So wächst in Uzwil eine junge Generation froh und gesund heran.» Und schliesslich konnte 1967 das markante Hochhaus bezogen werden. Mit seinen Ein- und Zweizimmerwohnungen bewusst für die ältere Generation gedacht. Um die zunehmend älter werdenden Menschen vor der Vereinsamung zu bewahren, entstand auch das Restaurant im Erdgeschoss des Hochhauses, das heutige Kafi Wäspi.
Der Zahn der Zeit
60 Jahre haben ihre Spuren an der Siedlung hinterlassen, die Bedürfnisse auf dem Wohnungsmarkt haben sich in dieser langen Zeit verändert. Deshalb befasst sich die Stiftung seit einigen Jahren mit der Frage, wie die Siedlung in die Zukunft geführt werden kann. Wichtig für sie ist, auch künftig dem Grundsatz des günstigen Wohnraums treu zu bleiben und die durchgrünte Anlage zu erhalten. Dem Projektbeschrieb kann entnommen wer-den: «Das Projekt bleibt seinem heutigen Charakter treu und wertet mit gezielten Interventionen vor allem den heute sehr anonym wirkenden Siedlungsfreiraum auf. Es verstärkt die durchfliessenden, begrünten Freiräume. Ein Grossteil der bestehenden Bauten wird sehr zurückhaltend saniert und mit dem Sommerzimmerelement ergänzt. Damit sollen explizit die Kosten niedrig gehalten werden: Warum Bausubstanz vernichten, wenn günstige Wohnungen erhalten werden können. Die Neubauten ersetzen Häuser in schlechtem Bauzustand oder mit unzureichenden Grundrissen und sollen einen maximalen Mehrwert für die Bewohner bringen. Sie werden Bestandteil des Siedlungsraumes und profitieren von dem schönen Baumbestand. Ausserdem ermöglichen sie die Tiefgarage effizient zu erweitern. Das Projekt kann kostengünstige Wohnungen in sinnvollen Etappen anbieten.» Die geplanten Ersatzneubauten werden grösser als ihre Vorgänger, dadurch steigt auch das Wohnungsangebot der Siedlung. Verschiedene Planungsinstrumente, die diese Weiterentwicklung der Mustersiedlung Wespiwiese ermöglichen, unterstehen nun der öffentlichen Mitwirkung.
Mitwirkung und Info-Anlass
Die Bevölkerung ist eingeladen, vom 29. August bis zum 30. September 2025 Mitwirkungsbegehren zu diesen Planungsinstrumenten per Mail einzureichen an mitwirkung.wespiwiese@uzwil.ch. Am 17. September um 17.30 Uhr findet dazu auch ein öffentlicher Anlass im Kafi Wäspi statt. Die Planunterlagen sind abrufbar auf www.uzwil.ch/mitwirkung oder können im Gemeindehaus am Stickereiplatz 1 in Uzwil eingesehen werden. Rechtsverbindlich ist die Publikation auf der Publikationsplattform. Dieser Hinweis im Uzwiler Blatt dient zu Ihrer Information.
Kinderreiche Gemeinde, eine These
Warum hat Uzwil einen überproportional hohen Anteil Kinder an der Bevölkerung? Die damalige Berichterstattung zur Eröffnung der Siedlung Wespiwiese im Allgemeinen Anzeiger von Uzwil lässt auf eine mögliche These schliessen, vielleicht gibt’s auch noch andere. Jedenfalls wird dort Uzwil als beispielhafte Gemeinde zur Lösung des Wohnungsproblems bezeichnet. Weiter «Die Gemeinde Uzwil hat durch die bisherige erfolgreiche Tätigkeit der «Stiftung für den Bau preisgünstiger Wohnungen» die Mietzinsentwicklung innerhalb ihrer Gemeinde unter Kontrolle gebracht, zahlreichen kinderreichen Familien zu preiswerten Neu- und Altwohnungen verholfen und gleichzeitig der älteren Generation entscheidend zur Verschönerung des Lebensabends beigetragen. Möge ihr Beispiel wegleitend für ähnliche Bestrebungen sein!» Vielleicht war Uzwil in diesem familienfreundlichen Anliegen eines günstigen Mietzinsniveaus durch das jahrzehntelange geballte gemeinsame Engagement von Parteien, Arbeitgebenden und Gemeinde schlicht erfolgreicher als andere. Mit Folgen bis heute.